Immer frisch auf den Tisch

Wir Japaner lieben frische Speisen und den natürlichen Geschmack. Das ist auch der Grund dafür, dass wir manche Tiere so gerne roh verzehren: kunstvoll in dünne Scheiben geschnitten und nur ganz dezent gewürzt. Es gibt sogar Gerichte in Japan, bei denen die Hauptzutat auf dem Teller noch deutliche Lebenszeichen von sich geben kann und darum resigniert mit den Armen winkt*, bevor sie in der Mundhöhle eines Gourmets für immer verschwindet.

Frischer geht es nicht!

Das ist aber nicht so ungewöhnlich, wie Sie jetzt vielleicht denken, denn natürlich werden auch in Europa Speisen bei lebendigem Leibe verzehrt. Allerdings haben Austern keine Arme, mit denen sie zum Abschied winken könnten.

Haut mit saugnäpfen daran

Roh verzehrt und nur minimal gewürzt entfaltet sich der Eigengeschmack, das natürliche Aroma nun mal am besten! Beliebt sind dafür in Japan vor allem Fische und viele Weichtiere aus dem Meer – wie Muscheln, Meeresschnecken und die verschiedensten Tintenfische.

Letztere finden hier in Deutschland aber nicht so viele Freunde, wenn man sie bei Tisch serviert. Tentakel mit Saugnäpfen daran wurden sicher nicht geschaffen, um Schönheitswettbewerbe zu gewinnen. (Es gibt jedoch Kühe in Japan, die schaffen das locker!)

Japanischer Salat aus Krake, Alge und GurkeIn Japan gilt beispielsweise roh zubereiteter Krake als Delikatesse! Und dabei ist es keineswegs notwendig, das von Natur aus weiche Tier stundenlang zu kochen oder es tagelang zu marinieren, um Armen und Kopf eine zarte Konsistenz zu verleihen. Er hat auch nichts mit dem hartgummiartigen Etwas gemein, dem ich hier in Form von Octopussalat beim Griechen, oder in Ringform und mit fettigem Teigmantel begegnen mußte. Nur mit Gurken und ein paar Algen, oder pur mit ein paar Tropfen Sojasauce ist er einfach ein herrlicher Genuß. In kleine, saftige Teigbällchen eingebacken bekommt man ihn in Japan an fast jeder Ecke, so wie hier eine Bratwurst in einem trockenen Brötchen.

Der Verzehr von rohem Fisch scheint in Europa bislang noch sehr gewöhnungsbedürftig und entspricht ganz sicher nicht den allgemeinen Gepflogenheiten, wohingegen er in Japan einen hohen gastronomischen Stellenwert in Form von Sushi und Sashimi einnimmt.

Das liegt sicherlich auch daran, dass den Japanern jederzeit fangfrischer Fisch zur Verfügung steht, denn der Großteil unserer Bevölkerung lebt(e) direkt an der Küste. Daher bestand in unserer Geschichte auch nie die Notwendigkeit, das Alter und den Zustand eines Fisches hinter der Wucht einer Gewürz- und Aromabombe zu verstecken und einen muffigen, abgelagerten Geschmack mit einer wahren Sintflut an Sauce zu kaschieren.

Nur geringe Mengen Sojasauce und eine Winzigkeit des scharfen Wasabi werden in Japan dabei zum Würzen von Sashimi und Sushi verwendet: der Fisch wird nur leicht in die Sauce gedippt (und nicht in ihr gebadet), und die Zufuhr an Wasabi meist einzig und allein dem Können des Koches überlassen. Liegt in Japan dennoch Wasabi auf Ihrem Teller, so dürfen sie ihn natürlich verwenden. Sie müssen aber nicht!

Roquefort-SchimmelkäseDass viele Europäer sich (noch) vor rohem Fisch ekeln, kann ich aber gut verstehen. Auch Japaner erleiden einen Schock, wenn Ihnen in Europa am Ende eines Menüs eine Platte mit verschimmeltem Käse präsentiert und zum Verzehr angedroht wird. Mit Kräuterbutter überbackene Weinbergschnecken in ihrem Häuschen, oder würzige, mit Knoblauch zubereitete amphibische Extremitäten lassen das Herz eines Japaners zwar höher schlagen, aber nur solange, bis er den Anblick seelisch verkraftet und die plötzliche Übelkeit in den Griff bekommen hat.

Es ist also keineswegs so, dass Japaner alles essen, solange es nur ausreichend ekelhaft oder vom Aussterben bedroht ist. Auch bei uns wird die Grenze des Genießbaren einfach nur durch unsere alltäglichen Gewohnheiten bestimmt.

Ich werde von meinen Kunden häufig gefragt, ob Japaner auch Katzen essen? Nein, das tun wir nicht! Das mag in manchen Gegenden Chinas zwar üblich sein, aber China ist auch geografisch von Japan immer noch ziemlich weit entfernt, selbst wenn es auf der Weltkarte nur nach wenigen Zentimetern aussieht.

Denn Wesen, die man auch bei uns als Haustiere hält und im eigenen Heim liebevoll streichelt und füttert (also Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, etc.), finden üblicherweise nicht ihr Ende als Fleischzutat in einem japanischen Hauptgericht. Zu Insekten und Spinnentieren fühlen wir uns ebenfalls kulinarisch überhaupt nicht hingezogen.

Vögel und Huftiere allerdings finden wir dagegen richtig lecker. Erst recht, wenn das knusprige und innen saftig rote Steak von einer stressfreien Kuh stammt, die ihr ganzes Leben lang intensiv massiert und täglich bis oben hin mit Bier abgefüllt worden ist.

In diesem Sinne: Mahlzeit!

mm|jah