Fahrstuhlreise in Japan

Sofern Sie einmal Japan besuchen und dort ein Kaufhaus betreten, werden Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf eine weibliche Dienstleistungskraft treffen, die in der westlichen Welt als weitgehend ausgestorben gelten dürfte, wenn es sie denn überhaupt je gab: die Fahrstuhlführerin, in Japan »elevator-girl« genannt.

Die Aufgabe dieser außerordentlich adrett gekleideten jungen Damen in weißen Handschuhen und mit elegantem Hut ist aber nicht nur die Bedienung des Aufzuges und damit lediglich das Drücken von bunten Knöpfchen, sondern auch, den Kunden mit melodischer Stimme auf die etagenspezifischen Attraktionen und Kaufmöglichkeiten hinzuweisen. So hält sie auch mit professioneller Hand die Schiebetüren auf, bis der letzte gewillte Besucher den Aufzug betreten hat, bedankt sich bei jedem persönlich und mit perfekt einstudiertem Klang für den Besuch des Kaufhauses und von gerade diesem Aufzug, und sie warnt selbstverständlich vor dem gleich folgenden Schließen der Aufzugstüren. Sicherheit geht vor!

elevator-girls: »Bitte Einsteigen!»

Hier ist der Kunde König!

Auch ihre Kollegin außhalb des Vertikalen-Leute-Transporters achtet darauf, daß alle Kaufhausbesucher ordnungsgemäß verstaut und reisefertig sind, bevor sich die Türen schließen dürfen. Sobald sich dann die Schiebetüren endgültig schließen, verbeugt sie sich höflich in einem Winkel von 45°, positioniert dabei die Füße in der exakt dafür vorgeschriebenen Stellung und nimmt Abschied von den Fahrgästen…

Ein »elevator-girl« nimmt höflich Abschied! (Beachten Sie die Fußstellung!)

Die Reise nach oben (oder unten) kann beginnen! Die eloquente junge Dame im Aufzug navigiert mit sicherer rechter Hand den Aufzug in die nachfolgende Etage und weist dabei mit ihrer behandschuhten Linken graziös in die derzeitige Fahrtrichtung nach oben (oder unten). Schließlich will der Kunde wissen, wohin es geht, und sollte sich dabei nicht nur auf die elektronische Anzeige über der Tür verlassen müssen.

In Japan ist der Kunde König und fühlt sich tatsächlich dort auch so! Das Personal ist außerordentlich freundlich, höflich und hilfsbereit, und dabei doch niemals aufdringlich.

Nie werden Sie hier das Gefühl vermittelt bekommen, sie kämen gerade ungelegen mit Ihrem absurden Wunsch, an der Kasse ein Produkt bezahlen zu wollen. Keinesfalls müssen Sie die Frechheit begehen, das mühsam gefundene Personal beim gemütlichen Tratsch zu unterbrechen, nur um damit deren strafende Blicke auf sich zu lenken. Und niemals, wirklich niemals, wird die Kassiererin Sie lautstark mit den Worten »Haben Sie eine Kundenkarte?« anbrüllen, um Sie eindringlich an den Marketingservice des Kaufhauses beim Bezahlvorgang zu erinnern.

Japanische Kaufhäuser geben ihr Bestes, um ihre Kunden glücklich und zufrieden zu machen. Und dazu gehören ein fabelhafter Service und auch diese archaisch anmutenden »elevator-girls«, die besonders im technisierten und automatisierten Japan wie Relikte aus einem anderen Zeitalter wirken.

Denn es ist ja nicht etwa so, daß japanische Ingenieure nicht auch einen sprechenden, denkenden oder sogar mitfühlenden Aufzug bauen könnten, wenn sie es wollten. Nein! Service bedeutet in Japan immer noch Personalpräsenz, egal wo und egal wie notwendig es erscheinen mag.

Und so nimmt dieses Bestreben nach perfektem Service im Falle der »elevator-girls« auch schnell absurde Züge an, denn um auf den Kunden nur ja keinen aufdringlichen Eindruck zu machen, wird Sie ein »elevator-girl« niemals direkt ansprechen oder sogar anblicken, sondern mit der Ausstrahlung und der gebotenen Zurückhaltung eines Tonbandgerätes zuverlässig die Etagennummern und zugehörigen Produktangebote aufsagen, wenn auch mit sehr einschmeichelnder und liebenswerter Stimme. Diese jungen Damen sind stets außergewöhnlich hübsch, selten über 25 Jahre alt, und besitzen den liebenswert-konservativen Charme einer Stehlampe.

Weil das selbst Japanern ein bißchen unheimlich ist, schenken sie diesem zarten Wesen in der rechten Ecke des Aufzuges ganz betont keine Aufmerksamkeit, gehen schüchtern zu ihr auf Abstand, – egal wie voll das Gefährt ist –, und starren gebannt auf die Anzeigetafel, da sich der Blick auf die Mitreisenden in Japan ja gleichermaßen verbietet.

Wenn Sie also einmal in Japan sind, so lassen Sie sich die Fahrt in einem Kaufhaus-Aufzug nicht entgehen! Die Rolltreppen dort bieten nicht einmal halb so viel Spaß!

mm|jah